Weltmeisterschaft Manila (Philippinen) 2006

Vom 22.11. bis 03.12.2006 reiste eine kleine Delegation der Kampfkunstschule Yushinkan nach Manila auf den Philippinen, um Deutschland bei der dortigen Weltmeisterschaft zu vertreten.

Doch bevor es zu dieser Weltmeisterschaft kommen sollte, standen zunächst noch einige andere Höhepunkte auf dem Programm.

Nach etwa 15-stündiger Flugreise über Amsterdam nach Manila schlug den vier Teilnehmern Björn Wilkens, Franziska Vogel, Philipp Voigt und Felix Degen am Mittwoch das subtropische Klima einer Großstadtmetropole ins Gesicht. Sofort stand eine hervorragend organisierte Staffel Tong-il Moo-Do praktizierender Philippinos bereit, die das deutsche Team durch den dichten Verkehr Manilas in ein fensterloses Hotel brachte. Nun hieß es die ersten Tage zunächst auf den Rest der Welt zu warten und in der Zwischenzeit Manila kennen zu lernen. Manila, eine riesige Stadt, die sich an vielen Ecken ähnelt und vor Verkehr fast überquillt. Neben unendlichen Weiten einfacher Flachbauten, aus denen einem viel Armut entgegenschlägt, strotzt diese Stadt nur so vor Einkaufszentren in Superlativen. Auf der Suche nach einer Altstadt oder wenigstens nach einem Stadtzentrum stolperten wir so ungewollt von einer Einkaufsmeile in die nächste.

Organisiert wurde das gesamte Ereignis von dem philippinischen Tong-il Moo-Do Meister und Träger des 7. Dans Venus Agustin. Dieser lud uns kurzerhand zu einem Mittagessen ein, bei dem wir ganz locker über Gott und die Welt plauderten. Auf unsere Frage nach einem besuchenswertem Fleck in Manila, stieg Master Venus einfach kurz entschlossen mit uns in die nächste S-Bahn und brachte uns nach mehrfachem Fahrzeugwechsel und einer Stunde Fahrt direkt an den Ozean – zu Asiens größtem Shopping Center, der Asia Mall.

Am Freitagabend ging es dann endlich nach Tanai ins Trainingscamp. Vorher trafen sich noch alle bis dahin eingetroffenen Teilnehmer in einem Mc Donald`s ähnlichen Fastfoodrestaurant. Es war schon ein sehr spezieller Anblick, Sensei Hoshiko, den Hauptmeister des Workshops und bedeutenden Mitentwickler des Tong-il Moo-Do, mit einem mp3-Player in den Ohren in diesem Lokal zu beobachten, wie er gerade ein Lied auf seine Eignung für eine bestimmte Kata überprüfte.

Nach einer eindrucksvollen dreistündigen Busreise durch die Slums der Philippinen kamen wir dann in der Nacht zum Samstag im Tanai Trainingscenter an. Dieses ist eine Art Ferienlager für gläubige Touristen abseits komfortabler Mainstreamangebote. Mit gemischten Gefühlen bezogen wir unsere 4×3 m große Holzhütte mit auf dem Boden liegenden Matten als Bettersatz und irgendwie viel zu wenig Platz für unser typisch deutsches (also überquellendes) Gepäck. Bei umherspringenden Hunden und im Licht flatternden unbekannten Flugtieren kamen kurz Zweifel über unseren Verzicht auf Tollwutimpfung und Malariaprophylaxe auf. Fragen, die sich beim Anblick des Stundenplans schnell verdrängen ließen.

Dieser begann nämlich 5 Uhr morgens mit einer Art philosophischen Lektion, gefolgt von einem Morgentraining und einer weiteren ausgeprägten Theorieeinheit. Danach dann Training bis 23.00 Uhr, unterbrochen durch kurze Essenspausen. Gegessen wurde im Freien unter einem Wellblechdach und trotz wechselnder Optik im Grunde immer das Gleiche: früh, mittags und abends Reis mit Fisch und einem Gemüse, welches durch das immer gleiche Gewürz einheitlich schmeckte.

Hauptanliegen des Trainings war insgesamt die Vorbereitung der Vorführung, die am Haupttag der Weltmeisterschaft stattfand. Daneben wurde viel Zeit in das Aufstellen, Erklären und wieder Verwerfen diverser Wettkampfregeln investiert. Interessant war dabei die philippinische Trainingsweise. Wer heute eine Aufgabe für die Vorführung bekommen hatte, wusste schon am nächsten Tag nichts mehr davon, so dass alles Mögliche jeden Tag aufs Neue verteilt werden musste. Auch das Aufstellen in Linien förderte bei vielen Teilnehmern für uns Deutsche unverständliche Probleme zu Tage, was noch durch das tägliche Anreisen weiterer Teilnehmer und deren ständige Eingliederung in die bestehende Unordnung verstärkt wurde. Hatte endlich jeder seine Position gefunden, wurde der gesamte Komplex neu geordnet – heute nach Nationalität, morgen nach Größe und übermorgen nach Geschlecht.

Auf der anderen Seite übten die Philippinos mit einer unglaublichen Geduld und scheinbarer Immunität gegen Müdigkeit und Erschöpfung. Selbst wenn wir dann endlich nachts halb eins im „Bett“ lagen, waren aus dem Dojo noch immer frische Kihaps zu vernehmen.

Um die Ausführung der verschiedenen Katas zu vereinheitlichen, führte Master Hoshiko sie alle in einer Trainingseinheit am Stück vor, bis ihn dann Master Giuliano unterbrach, damit er sich nicht zu sehr verausgabt. Unter den Freiwilligen war schnell Franziska ausgewählt und zeigte für alle eine hervorragende Chang Jo Eui Bon.

Die Teilnehmer des Workshops kamen aus allen Teilen der Welt. Neben etwa 100 Philippinos waren noch mal ungefähr 70 Teilnhemer aus anderen Ländern angereist: USA, Panama, Argentinien, Nepal, Japan, Korea, Kenia, Äthiopien, Moldawien, Russland und Deutschland, um nur einige zu nennen.

Unterrichtet wurde komplett in Englisch, so wie auch der Rest der Reise komplett in englischer Sprache stattfand (als kleine Motivation für alle Yushinkanmitglieder die noch zur Schule gehen und Englischunterricht haben – irgendwann könnte es doch mal wichtig sein 😉

Anders als in Deutschland geht es auf den Philippinen nach der Einwärmung nicht fließend mit dem eigentlichen Training weiter, sondern man verliert sich zunächst in endlosen Diskussionen über längst besprochene Details oder übt die Aufstellung, um dann, wenn der gemeine Mitteleuropäer längst wieder kalt und steif geworden ist, plötzlich Sprungkicks zu üben.

Natürlich waren wir alle sehr motiviert und ließen uns von diesen kleinen Ungewohntheiten nicht irritieren. So waren wir dann auch sehr stolz darauf, dass wir alle vier bei jedem Teil der Vorführung ausgewählt wurden und wenn es nicht unsere Körpergröße verhinderte in die erste Reihe gestellt wurden. Überhaupt kann man ohne Übertreibung sagen, dass das deutsche Team bei dem Workshop eine ausgezeichnete Figur machte. Hier macht sich einfach das intensive Training unter Sensei Schulze und Sensei Felsch über viele Jahre hinweg bezahlt. Denn während drei Leute unseres Teams nach durchschnittlich elfjährigem Training als Braunschwarzgurte anreisten, ist es international eher üblich, schon nach drei bis vier Jahren einen Schwarzgurt zu tragen.

Auch wenn das Niveau bei einigen Teilnehmern hier und da Lücken aufwies, herrschte eine sehr schöne und familiäre Atmosphäre. Obwohl die WM kurz bevor stand, kam kaum Konkurrenz auf. Es war vielmehr ein sehr liebevolles Miteinander. Und eine Menge Spass hatten wir natürlich auch. Abends, wenn die Meister zur Besprechung verschwunden waren und freies Training auf dem Programm stand, wurde – anders als vielleicht hierzulande – mit dem Training erst so richtig losgelegt. Dann wurde die entsprechende Musik gestartet und die einzelnen Länder zeigten unter den begeisterten Augen aller anderen ihre Team-Performance. Da fühlte man sich eher wie bei einem großen Kampfkunstfest, wo jeder sein Bestes gibt, nicht um zu gewinnen, sondern um den Abend zu verschönern.

Diese familiäre Stimmung zeigte sich auch am 26.11., meinem 25. Geburtstag. Ich hatte gerade die Einwärmung geleitet, als Master Hoshiko mir auf der Bühne zum Geburtstag gratulierte und kurz darauf alle lauthals Happy Birthday trällerten – und das mit vollem Einsatz.

Interessant war es zu beobachten, wie aufgeregt plötzlich alle waren, wenn besonders wichtige Menschen zu Besuch kamen. Eines Abends hatte sich eine einflussreiche Persönlichkeit des öffentlichen und auch religiösen Lebens samt Gefolge angekündigt. Sofort wurde der normale Trainingsbetrieb abgebrochen und eine Vorführung arrangiert. Dabei wurde besonders großer Wert auf den Komfort für den feinen Besuch gelegt und so durften unter anderem nagelneue Plüschpantoffeln nicht fehlen.

Am letzten Tag des Workshops kam Dr. Seuk, der Begründer des Tong-il Moo-Do, in Tanai vorbei, um die Vorbereitungen und den Fortschritt der Demonstration zu begutachten. Wir bauten die Tatami auf dem großen Vorplatz des Dojos auf. Während Dr. Seuk oasengleich unter Palmen im Schatten genüsslich Kokosmilch und andere leckere Getränke aus stilechten philippinischen Gefäßen trank, machten unsere Füße mit der heißesten Matte, auf der wohl jemals eine Tong-il Moo-Do Vorführung stattfand, Bekanntschaft. Nur zwei Dinge hielten uns auf der Kampffläche: hitzeunempfindliche original afrikanische Füße und extremer Kampfgeist. Natürlich hatte Dr. Seuk noch einige Änderungsvorschläge und so wurden die Reihen nach Nationalität und Geschlecht nun abermals nach Größe sortiert. Anschließend hielt Dr. Seuk vor allen Instruktoren und Teilnehmern eine wohl historische Rede, in der es neben der weltweiten Verbreitung des Tong-il Moo-Do in erster Linie darum ging, wie jeder einzelne durch Kampfkunsttraining an sich selbst arbeiten kann, um so schließlich an einer besseren Welt mitzuwirken.

Am Mittwochmorgen in aller Frühe verließen wir Tanai, um nach vierstündiger Busreise durch Manilas Rushhour verspätet im „San Andreas Sports Complex“, dem Austragungsort der diesjährigen Tong-il Moo-Do-Weltmeisterschaft, dem 3rd World Peace King Cup 2006, anzukommen. Der Wettkampf untergliederte sich in zwei Tage. Am ersten Tag standen die Kategorien „Individual Form“ (Einzelkata), „Team Form“ (Mannschaftskata), „Special Technique“ (Bruchtest, Selbstverteidigung,…) und „Team Special Technique“ (das Ganze mindestens zu zweit) auf dem Programm. Das deutsche Team nahm an allen Kategorien teil, doch bevor es losging, stifteten noch einige Unklarheiten für Verwirrung. Nachdem wir uns nämlich stehend allerlei Eröffnungsreden angehört hatten, hieß es plötzlich, dass die Kategorie Einzelkata sofort losginge. Als Starter Nummer 2 hieß das für mich natürlich Erwärmung in Rekordzeit und als ich gerade den nötigen Biss hatte, eine WM-reife Kata auf die Matte zu legen, klärte uns eine Lautsprecherdurchsage über eine zweistündige Programmverschiebung auf.

Jeder der 21 leistungsstarken Starter musste zunächst eine weiche SoftStyle-Kata, direkt gefolgt von einer harten Kata zeigen. Alle Mitglieder des deutschen Teams platzierten sich im vorderen Drittel mit folgendem Endergebnis 1. Platz Yacobe Abebe (Äthiopien, Afrika),

2. Platz Leo Carumba (Philippinen, Asien), 3. Platz Björn Wilkens (Deutschland, Europa).

Als nächstes folgte die Kategorie Mannschaftskata. Hier hatten wir uns mit einer komplett eigenen Kreation am stärksten vorbereitet und auch die größten Siegchancen ausgemalt. Allerdings entpuppte sich die Team Performance als Königsdisziplin und gleich zwölf Nationen traten größtenteils mit überragenden Darbietungen an. Den ersten Platz sicherten sich wie bereits im Vorjahr vier original Shaolin-Mönche, gefolgt von elf Russen und zwölf Philippinos. Wir wurden fünfter.

In der Spezialkategorie trat Felix mit einem gelungenen Bruchtest an, wie er ihn schon zur Humanitas-Demo gezeigt hat. Die gleiche Kategorie gab es auch im Team. Hier traten Philipp und ich ohne nennenswerte Vorbereitung einfach nur spaßeshalber mit einer Kombination aus Zeitlupe und rasanter Action an. Obwohl dabei im Grunde alles schief ging, kam die Idee bei Publikum und Jury dermaßen gut an, dass wir überraschend Weltmeister wurden. Ganz unerwartet machte uns diese Aktion für die zwei Wettkampftage zu gefühlten Weltstars, denn nie zuvor mussten wir so viele Autogramme geben, tausendmal die Empfehlung, zum Film zu gehen, entgegennehmen und uns mit so vielen „Fans“ fotografieren lassen. Das war echt irre.

Der zweite Wettkampftag bestand aus Vorkämpfen und Hauptevent. Leider gingen dem Kumite-Wettkampf viele teils unschöne und sehr verwirrende Regeländerungen voraus. Zuerst durften wir nicht teilnehmen, weil nur ein Starter pro Gewichtsklasse jeder Nation erlaubt war, dann wurde diese Regel wieder gekippt, weil es zu wenige Teilnehmer gab. Schließlich wurde ohne Gesichtsschutz gekämpft, was leider viele Verletzungen nach sich zog und uns in unserer Entscheidung, nicht teilzunehmen, bestätigte. Völlig unterschiedliche Regelauslegung der verschiedenen Kampfrichter machte aus den meisten Kämpfen zudem eher eine Lotterie. Hier besteht für nächstes Jahr – übrigens in Südkorea – noch viel Verbesserungsbedarf.

Am Nachmittag fand dann das Hauptevent statt. Nach dem Einmarsch aller Nationen und diversen Reden unterschiedlich wichtiger Persönlichkeiten begann die lang vorbereitete Demonstration traditionell mit Pyung Hwa Eui Bon in der großen Gruppe. Es folgten One-Stepp-Sparring, Bruchtest, Fallschule, Selbstverteidigung, Aerobic und „Eye of the tiger“. Einer der Höhepunkte dabei war die Sprungfallschule über mehrere Personen durch einen brennenden Feuerreifen mit integriertem Bruchtest durch Master Vincent Belmonte. Auch wir waren an fast allen Menüpunkten beteiligt. Eingebettet in dieses Programm fanden die drei Finalkämpfe statt. Dabei wurde der Russe Vitali Naumov zum dritten Mal in Folge Schwergewichtsweltmeister. Das Tournament endete in einem feierlichen Bankett, dessen Stimmung deutlich durch die vielen Verletzungen und einige misslungene Programmpunkte gedämpft war.

Die letzten beiden Tage verlangten uns durch ständige Ungewissheit und völlig kurzfristige Änderungen nach diesen doch sehr nervenaufreibenden Tagen körperlich und psychisch noch mal sehr viel ab. So ging es trotz Taifun Durian noch einmal nach Tanai, wir trafen schon wieder wichtige Leute, es gab noch ein Bankett und wichtige Bauwerke mussten auch noch besucht werden. Schließlich fand eine Gürtelprüfung statt. Unter der Leitung von Master Venus (7. Dan), Master Giuliano (6. Dan) und Master Aketch (5. Dan) wurden wir drei Stunden lang auf Herz und Nieren geprüft. Zwischendurch fiel für etwa 25 Minuten der Strom aus, so dass sich mit Taschenlampe und Kerzen beholfen werden musste. Franziska Vogel, Felix Degen und Philipp Voigt erreichten den ersten Dan, wobei Philipp auf Grund seines extrem langen Durchhaltevermögens seit der letzten Prüfung (2000) und natürlich wegen seiner guten Techniken als besondere Auszeichnung noch zwei Punkte erhielt. Ich erreichte den zweiten Dan. Am nächsten Morgen traten wir alle vier geschafft aber glücklich und mit tausend schönen Bildern und tollen Eindrücken im Kopf unseren Rückflug an. Hmm, Korea, na mal sehen…

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